Gastbeitrag
Buchbesprechung

Rombach/DER KOMMENDE GOTT

Rombach Verlag Freiburg 1991, 163 Seiten
Pb. DM 38,-  geb. DM 46,-


Aus dem Buch und zu dem Buch von Heinrich Rombach:
"DER KOMMENDE GOTT, Hermetik - eine neue Weltsicht"
Ein Phänomen - keine Mythologie und keine Theologie!
von Wolfgang Dittrich, München

Nach Antike und Christentum erhob sich vor mehr als 200 Jahren in Europa die Aufklärung. Nach der religiösen Vielfalt der Antike herrschte die jüdisch-christliche Idee vom "einen Gott" mit der Folge der Entgöttlichung der Natur. Das einseitig scharfe scholastische Denken führte konsequenter Weise zur Aufklärung und zur Wissenschaft. Damit wurde Gott ein rein geistiger - sofern er nicht für tot erklärt wurde - und die Natur reine Materie: Der christlichen Materielosigkeit des Geistes einerseits steht die Geistlosigkeit der Materie andererseits gegenüber. Alle Geister waren damit aus der Natur vertrieben - auch der Geist aus dem Menschen.

Rombach erkennt ein Zwischenreich und weist dieses reale Phänomen der Hermetik zu: das Abgeschlossene, Unverfügbare, Unplanbare, Kommende, Flow, tanzendes Sein - die Grundform des lebendigen Seins! Im Gegensatz hierzu steht die Hermeneutik des klärende Wortes und der Feststellung.

Hermeneutik führt zum "Aha", Hermetik zum "Ah"!

Dies versucht Rombach zu verdeutlichen anhand Michelangelos Gestalt "Der Tag" (Medici-Kapelle in Florenz)

Die kraftvolle Männergestalt im Augenblick des Erhebens, Kraft nicht in der Phase des Einsatzes sondern in der Phase der Sammlung, hergeholt aus der ruhigen Gelassenheit eines sicheren Selbstbesitzes. Das Haupt noch nicht erhoben, aber es erhebt sich gerade, das Gesicht hat sich noch nicht gestaltet - aber es blickt schon hinaus, wenn auch nur in die weite Ferne - in etwas Großes, noch nicht Festgelegtes. Die gewaltige Krümmung des Rückens mit der plastischen Deutlichkeit der Muskulatur zeigt die Spannung, aus der die Schnellkraft kommt. Die ganze Gestalt ist im Kommen!

Sie ist der "kommende Gott", nicht der Gott, der da sein wird, der Gott mit Namen und Antlitz, mit Verkündigung und Lehre, mit Tempel und Verehrung - sondern der Gott des Augenblicks, der Gegenwart, der Überraschung und der mitreißenden Geste. Der Gott, der nichts vorwegnimmt, auch nicht sich selbst, der noch kein Gesicht hat, sondern das Gesicht derjenigen Tat oder Tatsache annehmen wird, die sich aus seinem Aufbruch entrollt.

Ein Gott, der jeden Namen annehmen kann: Tat, Erleuchtung, Verzauberung, Zukunft, Werk, Aufscheinen, Auftrag, Botschaft, Einfall, Geist, Unplanbares, das Ureigene, Witz, Genie, Gewitter, Potenzial, Tag. Der Gott, der in die Dinge und Menschen führt, nicht über ihnen, unter ihnen oder hinter ihnen steht, sondern aus ihnen herausbricht.

Der Gott allerdings auch, der wieder fallen läßt. Er verhindert Verfestigungen und Verkrustungen und treibt immer wieder zum lebendigen Erleben, zu Reform, zur Reinigung, Vermenschlichung - er ist der Gott des Reiches zwischen dem fernen Gott und der Materie - dem ureigensten Reich des Menschen.

Immer mehr Denker haben das Unsagbare, Grenzenlose und Namenlose angedacht. So spricht z.B. Rilke von einer letzten Wirklichkeit, die noch nie ein Wort betreten hat. Es geht um den Urgrund, indem noch nicht Göttliches und Menschliches geschieden ist. Hölderlin hat das hermetische Phänomen "der kommende Gott" genannt.

Lassen wir zum "Aha" der Aufklärung das "Ah" des Lebens zu!

© DITTRICH 2001

Heinrich Rombach wurde 1923 in Freiburg im Breisgau geboren, wo er auch studierte, u.a. bei Heidegger.
Von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1990 hatte er den Lehrstuhl I für Philosophie der Universität Würzburg inne.
Die Zeitschrift "Information Philosophie" hat ihn im Heft 2/2001 mit einem ausführlichen "Porträt" gewürdigt.
(Angaben zur Person Rombach von H. Hille)

eine weitere Buchbesprechung von ihm finden Sie in der Datei (III/4): "Einführung in den Konstruktivismus"

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