Sinn des Lebens

aus meiner Personalakte - Teil III:  Gedichte und Texte weiterer Autoren



Müde Knochen brauchen kein Bett
und keine Daunen und Decken,
sie können sich auch auf hölzernem Brett
behaglich zur Ruhe strecken.

Sie ruhen im Straßengraben so gut
wie auf weichen molligen Kissen.
Der Schlaf versöhnt dann mit einer Flut
von umso süßeren Küssen.

Seliger freilich schläft sich's im Gras,
wo die Sinne in Blumen versinken.
Dort ist der Schlaf wie ein volles Faß
und man kann sich nicht zähmen im Trinken.

Doch die ihr die Straße nur flüchtig kennt
wie eine Schwalbe im Fliegen
und die ihr noch nie an der Straße gepennt,
ihr laßt euch vom Leben belügen,
wenn ihr glaubt, dass ihr selber die Glücklichsten seid,
die auf der Erde leben,
nur wen das Leben im Leiden geweiht,
dem kann es Glückseligkeit geben.

                             R. Franke


Der Spitz und die Pferde

Ein hochbeladner Erntewagen fuhr über die Felder dem Dorfe zu. Um den Wagen herum und manchmal den Pferden weit voraus lief ein kleiner Spitz, der zu den betreffenden Bauern gehörte. Plötzlich, ungefähr 20 Pferdelängen voraus, blieb er stehen, wedelte mit dem Schwanze und bellte hochmütig zu den stampfenden Pferden zurück: "Seht doch, wie weit ich euch voraus bin, ihr großen starken, kräftigen Pferde. Nehmt ein Beispiel an mir und versucht es mir nachzutun!"
      Dreimal musste er so stehen bleiben und bellen, bevor eines der Pferde, der Bellerei endlich überdrüssig geworden, schnaubte: "Scher dich davon, du geschwätziger Spitz. Du bist uns ja nur im Bellen voraus. Sieh an, du Müßiggänger, welch einen Wagen wir ziehen, den du keinen einzigen Zentimeter vom Fleck bringen würdest!" "Ja, ja" stimmte das andere Zugpferd ihm zu, "durch Schwätzen allein ist in der Welt noch nichts unter Dach und Fach gekommen!" Der Spitz kniff den Schwanz ein und war beleidigt.

                             R. Franke   6.8.51


Auch von zwei bekannten Autoren finden sich in der "Personalakte" Texte, um deren Quintessenz es Fräulein Fischer wohl ging, weshalb ich auf die Wiedergabe nicht verzichten möchte. Vom nachfolgenden Gedicht drucke ich aber nur Anfang und Ende ab, in der Hoffnung, so mit dem Urheberrecht nicht in Konflikt zu kommen.

    Erich Kästner

          Ein alter Herr geht vorüber

    Ich war einmal ein Kind. Genau wie ihr.
    Ich war ein Mann. Und jetzt bin ich ein Greis.
    Die Zeit verging. Ich bin noch immer hier
    und möchte gern vergessen, was ich weiß.
    Ich war ein Kind, Ein Mann. Nun bin ich mürbe.
    Wer lange lebt, hat eines Tags genug.
    Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe.
    Ich bin so müde. Andre nennen's klug.

    Ach, ich sah manches Stück im Welttheater.
    Ich war einmal ein Kind wie ihr es seid.
    Ich war einmal ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
    Und meistens war es schade um die Zeit…
    . . .

    Und nun kommt ihr! Ich kann euch nichts vererben:
    Macht was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
    Vernunft muß sich ein jeder selbst erwerben,
    nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.

    . . .


Aus Klages: Sinn des Lebens

Die Augenblicke großen Erlebens kommen oder kommen nicht. Und sind sie gekommen, so gehen sie wieder: kein Wollen, keine Tätigkeit zwänge sie her. Allein jedes vollendet Geleistete beschenkt mit einer Minute des Glücks, das zwar nicht das höchste und tiefste Glück, aber doch ein lauteres Glück und zumal das einzige ist, das zu erwirken Menschen verliehen wurde.
      Wir reden nicht von den Überschwängen des Heroismus, nicht von Sternentrunkenheiten und nicht vom Schaffensrausch schöpferischer Ingenien, sondern vom möglichen Reichtum jeder beliebigen Tätigkeit. Kann doch die Leistung mehr oder minder vollkommen sein, ob sie nun Häuserbauen oder Stiefelbesohlen oder Kesselflicken oder Staubwischen heiße; und immer vergilt die gelungene, einem dankbaren Wesen ähnlich (sie ist ein Wesen!), dem Werker und Wirker mit einem Freudenblick, der wärmender ist als die Freuden des Beschauers und vor dem die hohle Lust des Erfolges fahl wird.
      Im Widerschein aber des geringsten Gewebes von eigener Hand erblühen und glühen, leise um Liebe werbend, verwandte Gebilde aus allen Vergangenheiten.



zurück weiter zurück zum Seitenanfang